Moskau Report (Frühjahr 2008)
Moskau Report (Frühjahr 2008)
Jetzt, nach meinem Umzug nach Wien, der endgültig letzte Moskaureport, wobei das diesmal ein Moskau-Kasachstan-Wienreport wird weil sich zu allen drei Stationen etwas in meinem Notizbuch findet.
Zunächst also noch die letzten Erlebnisse aus Russland:
Mein alter Herr, in seiner Universität vor (und teilweise auch noch nach) der Pensionierung den Posten des Russland-Kooperations-Beauftragten innehabend, war aufgabenbedingt oft zu Gast in St. Petersburg. Einmal allerdings verschlug es ihn zusammen mit seinem Rektor nach Moskau, und aus diesem Anlass organisierte meine Mutter parallel eine Reise mit dem gleichen Ziel für sich und den Freund des Rektors. Kurz, es wurde ein halb dienstlicher Zweifamilienausflug.
Im Laufe des offiziellen Programms waren nun Vattern und sein Chef von einem russischen Universitätsleiter, der seinerzeit gleichzeitig ein Fraktionschef und Vizepräsident der Staatsduma war, zu einem inoffiziellen Besuch in das hohe Haus gebeten, inklusive privater Führung. Weil ich mir extra für diesen Tag zwecks Elternbetreuung freigenommen hatte, wurde ich auch eingeladen, nicht zuletzt, um eventuell beim Dolmetschen zu helfen. In Erwartung einer Gruppenveranstaltung in größerem Rahmen und, wie gesagt, nicht dienstlich unterwegs, war meine Kleiderwahl an diesem Tage nicht besonders förmlich ausgefallen, was sich bald als geringer, gleichwohl peinlicher Fehler herausstellen sollte: Nach einer Privatführung durch das Flurenlabyrinth des Gebäudes brachte uns der persönliche Assistent unseres Gastgebers in dessen Büro, wo nun ein wenn auch formal persönlich-privater, so doch tatsächlich höchst offizieller Empfang durch den Vizepräsidenten des hohen Hauses stattfand. Unsere eigentliche Dolmetscherin hatte sich kurz zuvor mit dem Hinweis auf Termine und meine Anwesenheit verabschiedet, so dass ich nun plötzlich unrasiert, in Jeans, Turnschuhen, Kapuzenpullover und Motörhead-T-Shirt unter all den Anzugträgern, gleich einem Papagei unter Pinguinen, etwas fremdelnd und erstaunt von den Russen gemustert, als Hilfsübersetzer im Rampenlicht stand. Eigentlich völlig unnötigerweise, wie mir schien, hatte doch der Herr Vizepräsident uns einen die ganze Zeit über anwesenden, sich sehr geheimnisvoll-zurückhaltend gebenden Abgeordneten seiner Fraktion vorgestellt, der angeblich nur ein wenig Deutsch verstand, aber sofort beim kleinsten Fehler meinerseits verbessernd intervenierte, und dies bis in die feinsten Synonymschattierungen hinein. Bis heute kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass er eigentlich für einen ganz anderen Verein mit einer drei-Buchstaben-Abkürzung arbeitete und in dieser Situation hauptsächlich da war, um unter dem Deckmantel des Nichtverstehens zu überprüfen, was „die Deutschen“ untereinander beredeten.
Überhaupt war die gesamte Veranstaltung reichlich bizarr. Der Hausherr war Fraktionsvorsitzender der Partei „Rodina“, einer links-nationalistischen Kreml-Schöpfung, gegründet, um den Kommunisten Stimmen abzujagen, was bei der Dumawahl 2003 auch recht erfolgreich durchexerziert worden war. Allerdings hatten sich diese unappetitlichen Geister dann sehr schnell verselbständigt in dem sie einen wüst-aggressiven, kremlkritischen und gleichzeitig links-rassistisch-nationalistischen Populismus betrieben, der sich eindeutig an der NSDAP-Programmatik der Strasser-Brüder orientierte (inzwischen gibt’s den Verein nicht mehr, sie waren zu aufmüpfig und offen rassistisch geworden).
Unser Gegenüber prahlte dann auch gleich, nachdem er uns zunächst mit stolzgeschwellter Brust und bedeutungsschwerer Miene die Keule eines Zulukriegers gezeigt und ihre fürchterliche Wirkung auf einen menschlichen Schädelknochen farbenfroh ausgemalt hatte, mit seiner engen Beziehung zu seinem „lieben Freund“ Le Pen in Frankreich und seinen guten Kontakten zum „verehrten Edmund Stoiber“. Sobald auf diesem Wege einmal mehr deutlich geworden war, dass unsere Konservativen, sich sonst bezüglich eines jeden, der in der Jugend in Wort und Tat auch nur ansatzweise konsequent linke Positionen vertreten oder gelebt hat, über dessen „Terroristen- und Kommunisten-„ Vergangenheit empörend, mit jedem auch noch ekelerregendem Kryptofaschisten paktieren, kam die eigentlich erstaunliche Nachricht: dass er nämlich auch mit Gregor Gisy durchaus freundlich verkehrt und als Gastredner bei der Sozialistischen Internationalen geladen war.
Entweder ist denen nicht klar, mit wem sie sich da eingelassen haben, was schon schlimm genug wäre, oder aber das politische Hurentum ist bei der legalen europäischen Linken in einem Maße ausgebrochen, dass auch die käuflichste Metze der Ausfallstraßen, Eros-Center und Industriegebietsparkplätze Europas im Vergleich dazu als strahlendes Beispiel moralischer Reinheit verehrt werden muss.
Zusätzliche Pikanterie erlangte diese absonderliche Situation dadurch, dass Vaters Chef bekennender Schwuler ist und seinen langjährigen Lebenspartner dabei hatte, ohne jedoch ihr Verhältnis öffentlich zu machen – das wäre in Russland auch nicht ratsam: hatten doch vor der letzten Moskauer CSD-Demo der Bürgermeister, der Patriarch, der Großmufti und zahlreiche ultra-orthodoxe bis neofaschistische Organisationen zeitgleich dazu aufgerufen, den „Perversen“ ordentlich aufs Maul zu hauen. Das geschah dann auch unter den gelangweilten Blicken der Miliz, die nur einzugreifen sich bequemte, wenn die Schwulen sich wehrten. Und so standen wir nun hier, im Büro eines bekennenden Quasi-Faschisten und glühenden Schwulenhassers, umgeben von seinem finsteren Anhang, diplomatische Ehrenbezeugungen empfangend, während mir der „Begleiter“ in einem unbeobachteten Moment die kürzlich aufs Taschentelefon heruntergeladene Ausbeute seiner Internetrecherche zum Thema „Bilder beeindruckender männlicher Geschlechtsorgane“ zeigte. Wobei „heraufgeladen“ hier wohl als das assoziativ adäquatere Verb zu gelten hat. Eigentlich ein reichlich pubertärer Auftritt, doch veranlasste mich die Gesamtkonstellation dann doch zu klammheimlich-diebischer Freude: In der Zentrale der Verteidiger eines rassisch und moralisch „reinen“, von westlicher Dekadenz befreiten Russlands präsentiert eine alternde Schwuchtel stolz Fotos von erigierten Schwänzen. Das hatte ’was!
Irgendwann waren adoleszentes Geprahle mit politischen Kontakten und Waffen einerseits und Aufnahmen nackter männlicher Schambereiche andererseits, so endlos-wortreiche wie inhaltsleere Freundlichkeitsadressen und Erinnerungsfotos überstanden und wir verließen das Büro, um mit einem weiteren Schmankerls konfrontiert zu werden: Im Vorraum des Vizepräsidentenbüros lungerte, durch dichten Zigarettenqualm kaum zu erkennen, eine unbeschreibliche Ansammlung mafiöser Operettengangster herum, offensichtlich persönlicher Stab/Wachschutz unseres Gastgebers. Alle mit solch einer Klientel landläufig assoziierten Attribute wurden stolz zur Schau getragen: Nadelstreifenanzüge mit Weste und breitem Revers, weiße und graue Hüte im Humphrey-Bogart-Stil, Schwarze Hemden, weiße und lila Krawatten mit farbgleichen Einstecktüchern, Zigarettenspitzen und zweifarbige Budapester, auf den Schreibtisch gefläzt. Die dazugehörigen Visagen unter den stark brillantierten Frisuren oszillierten irgendwo zwischen „Once upon the time in America“ und Nick-Knatterton-Gangsterchargen. Lediglich Maschinenpistole und Schlagring waren nicht zu erspähen. So sieht also das Personal aus, das Russland von allem „Unrussischem“ reinigen will. Da besteht ja durchaus noch Hoffnung.
In diesem Zusammenhang stößt mir sodbrandgleich das erstaunliche Phänomen auf, dass Gottgläubigkeit und aggressiver Nationalismus fast immer Hand in Hand zu gehen scheinen (eigentlich ein Anlass, für unsere ach so Christenliebe predigenden Kirchen, die bekanntlich in jedem, aber auch wirklich jedem Krieg Mordwerkzeug und Mörder mit Segenssprechungen überhäufen, mal gehörig in sich zu gehen). Siehe USA, deutsches Kaiserreich oder, jetzt gerade, Russland. Innen- und außenpolitisch wird ein arrogant-rücksichtsloser Ultranationalismus durchexerziert, alles Nichtrussische zu Minderwertigen, Schädlichem und Feindlichem umgedeutet und eine stumpf chauvinistische Wagenburgmentalität geschaffen: „Russlands einzige Verbündete sind seine Armee und seine Flotte!“ Gleichzeitig tauchen bei öffentlichen Veranstaltungen neben der üblichen Politprominenz immer zahlreicher griesgrämig dreinblickende, schmierig-bärtige ältere Herren in prachtvollem Ornat auf. Es gibt inzwischen sogar ein offizielles Pflichtschulfach „Rechtpreisung“ – die Orthodoxen nennen sich selber „Pravoslavnye“, die „Rechtpreisenden“, d.h. „die den Herren auf die richtige Art preisenden“; alle anderen sind Häretiker! Da sind sie in der Etikettierung wenigstens ehrlicher als die Katholiker, die traditionell und gerade auch wieder mit ihrem aktuellen Guru ähnlich tolerant daherkommen. In besagtem Unterricht wird den jungen Leuten die Warnung vor dem verderbendem Einfluss des Westens und die gottgewollte Pflicht, sein Leben für das Vaterland zu lassen, verkündigt und verinnerlicht. Ein widerwärtiges Schauspiel. Der Gipfel der Mittelalterisierung wurde allerdings letztes Frühjahr von der heiligen Zweieinigkeit orthodoxe Kirche und Moskauer Stadtverwaltung erklommen: Während Vertreter der russischen Filiale der institutionalisierten Geistesbeschränkung vor dem Altar und in den Medien lauthals verkündeten, Kondome schützten nicht vor Aids, das ständige und inbrünstige Gebet sei da eher das Mittel der ersten Wahl – welches sogar nachgewiesenermaßen zur Heilung führen könne (sic!) – finanziert das Moskauer Stadtparlament von Steuergeldern eine Werbekampagne, die vor der grundsätzlichen Nutzlosigkeit des Kondoms als Schutz vor HIV und seiner großen Bedeutung bei der Zerrüttung der moralischen Volksgesundheit warnte. Als Alternativen werden traditionelle Familienwerte und Gottgläubigkeit empfohlen. Es ist bizarr, Ähnliches hört man sonst nur von irren afrikanischen Potentaten.
Der unheilvolle Einfluss dieser Reiseveranstalter in die zivilisatorische Voraufklärung geht inzwischen soweit, dass im Sommer 2007 Wissenschaftler, Lehrer und Universitätsdozenten sich genötigt sahen, in einem offen Brief an den Präsidenten gegen die überhand nehmende Dominanz des Klerus in Schule, Universität und Gesellschaft zu protestieren, da dieser das Land allmählich an den Rand einer rückständigen wissenschaftlich-kulturellen Isolation bringe.
Hinsichtlich eines mittelalterlichen Verständnisses von Menschenwert und Menschenwürde lässt sich nahtlos ein trauriger Beitrag anschließen. Januar 2007 wurde bekannt, dass ein Rekrut der russischen Arme bei einer „Silvesterfeier“ dienstälterer „Kameraden“ zum Gaudi der besoffenen Allgemeinheit über mehrere Stunden in eine Hockestellung gezwungen und dabei immer wieder brutal verprügelt worden war. Am Ende kam er mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus, wo wegen einsetzenden Wundbrands Genitalien und beide Beine amputiert werden mussten. Die Tragik wurde dadurch verstärkt, dass er seine Mutter gebeten hatte, ihn über Neujahr nicht in der Kaserne zu lassen (wo besonders zum Jahreswechsel Neulingsquälen als Zeitvertreib immer besonderen Anklang findet). Doch sie hatte nicht das Geld ihn abzuholen – und ohne Begleitung bekam er keinen Ausgang. Die Armee versuchte natürlich den unglaublichen Vorgang zu vertuschen, doch bald drangen erste Nachrichten an die Öffentlichkeit. Darauf stellte sich der damalige Verteidigungsminister vor die Presse und kündigte nicht etwa eine Untersuchung an, sondern bezeichnete das alles als liberale, antirussische, vom Ausland gesteuerte Propaganda. Allerdings bestätigten die behandelnden Ärzte den Vorfall und straften den Minister so Lügen. Daraufhin wurde das Geschehen selber nicht mehr geleugnet, jedoch das Opfer „zur besseren Versorgung“ in ein Moskauer Militärkrankenhaus überführt, wo sehr schnell „festgestellt“ wurde, dass nicht, wie vom Garnisionskrankenhaus angegeben, die stundenlangen Misshandlungen zu Wundbrand und Amputationen geführt hätten, sondern eine genetische Veranlagung des Rekruten. Ein Kommentar erübrigt sich hier.
Es sei noch eine Begebenheit aus kürzerer Vergangenheit hinzugefügt: Ein sturtzbetrunkener Offizier traf in einer Provinzstadt auf drei Rekruten, die er zum Anhalten aufforderte. Zwei von denen waren schlau genug, sich schleunigst aus dem Staub zu machen, der dritte beging den Fehler anzuhalten, worauf er mit dem Gürtel und der dazugehörigen Messingschnalle bis zur Bewusstlosigkeit traktiert und in einem Hundezwinger abgeworfen wurde. Als man ihn fand war er seinen Verletzungen erlegen. Fairerweise sei erwähnt, dass der neue, kürzlich eingesetzte, Verteidigungsminister nichts beschönte und sich sogar – ein unerhörter Vorgang – persönlich bei den Eltern entschuldigte.
Nun aber zu etwas weniger Depressivem. Ein Freund Svetiks ist Georgier, was eigentlich keine Rolle Spielt, da er, wie es bei uns jetzt so schön heißt, „voll integriert“ ist und lebt wie ein Durchschnittsrusse – bis auf Schrulligkeiten wie ausgeprägten (allerdings durch seine Frau herablassend lächelnd kontrollierten) Machismo, Vorliebe für eine Bestimmte Küche und fast ins absurde gesteigerte „kulturelle Identitätswahrung“. Dabei gibt es in seinem Freundeskreis nur Russen, keine Georgier. Das mag daran liegen, dass einerseits „Zhora“ eine fundierte Universitätsbildung und einen überaus gut bezahlten Job als Computerhändler hat, andererseits die meisten Georgier, wie „die Kaukasier“ generell, in Russland eine ähnliche Rolle spielen, wie viele Türken in Deutschland: Arbeitsemigranten, die entweder die Jobs machen, für die sich Russen nicht finden, oder sie kontrollieren auf den Märkten den Obst- und Gemüsehandel. Letzteres hat die Russische Regierung im Zuge ihrer Anti-Südländer-Kampagne dadurch zu unterbinden versucht, dass sie ab April 2007 allen Nicht-Staatsbürgern den Handel in diesem Bereich verboten hat, um „den ehrlichen russischen Bauern die Möglichkeit zu geben, ohne die ausbeuterischen fremden Mittelsmänner direkt ihre Erzeugnisse zu verkaufen“.
Nun sind die Russen zwar gute Bauern, aber nicht gewillt, winters bei minus 10° und kälter und sommers bei bis plus 40° an die vierzehn Stunden täglich sich auf offenen Märkten die Beine in den Bauch zu stehen. Dazu kommt, dass sie ja mit Ackerbau durchaus ausgelastet sind und auch gar keine Zeit zum Handel hätten, selbst wenn sie wollten. Außerdem läuft im Winter fast die gesamt Obst- und Gemüseversorgung Russlands aus dem Kaukasus und Zentralasien – und die Beziehungen und Handelskontakte dahin haben nun ganz bestimmt nicht irgendwelche russischen Provinzbauern. Kurz, Resultat der neuen Verordnung war, dass bis heute auf vielen Märkten reichlich Stände leer stehen, dass sich eine kaukasische Schatten-Strohmann-Struktur gebildet hat, die nun völlig mafiös ist (nachdem die vorherigen Verhältnisse auch nicht sonderlich koscher waren), und die Preise für bestimmte Lebensmittel sich innerhalb weniger Monate in vielen Städten nahezu verdoppelt haben. Aber ich merke gerade, dieser Einschub ist dabei, mir zu entgleiten.
Also, „der Kaukasier“, und damit auch „der Georgier“, ist „dem Türken“ in Deutschland nicht nur in gesellschaftlicher Stellung vergleichbar, sondern teilt leider nur allzu oft auch das wenig erfreuliche Gebaren so mancher Anatolen in Berlin: Aufgepumpte Muskeln, dicke Goldkettchen, geschmackloses Geprotze, allein eher feige, in Gruppen erbarmungslose Schläger – und die dummheitsbefeuerte Überzeugung, die Krone der Schöpfung zu sein. Nach meinen eigenen Erfahrungen muss ich hier „die Armenier“ ganz ausnehmen – meist eher wohlgebildete, charmante und listige Gesellen – und, teilweise, „die Georgier“, die weitaus weniger prekariatslastig strukturiert und aggressiv sind als das Gros unserer kleinasiatischen Mitbürger, oft auch einiges an Bildung mitbringen – nicht wenige Schlüsselpositionen in Russland sind noch aus Sowjetzeiten mit Armenisch- oder Georgisch-Stämmigen besetzt – und eine gewisse archaische Würde vermitteln. Ganz am anderen Ende der Skala Tschetschenen und Aserbajdzhaner: fast durchweg scheint hier die Widerwart in Menschengestalt inkarniert.
Wie auch immer, der „domestizierte“ Georgier hatte Geburtstag und lud zum Festessen in einem Restaurant mit traditioneller nationaler Küche. Eine schöne Sache, denn die kaukasische Küche ist, wenn auch mächtig Hammel-lastig, äußerst schmackhaft, wobei es da zwischen georgisch, azerbeidzhanisch u.ä. keine grundlegenden Unterschiede gibt – Hauptsache ordentlich gewürztes Tier am Spieß und mannigfaltige Salate dazu.
Am Tag der Feier machten die Angetraute und ich uns entsprechend der Wegbeschreibung auf zum als Veranstaltungsort annoncierten Lokal. Nach einer U-Bahnfahrt in einen der eher minder erfreulichen Bezirke Moskaus folgte ein strammer Fußmarsch, der uns mit jedem Schritt tiefer sog in eine sich an Gemeinheit steigernde Kulisse russischer Mad-Max-haftigkeit aus runtergekommenen Wohnhäusern, zerbröselnden Produktionsstätten und Brachen, auf denen sich Schrott aller Art zu Mahnmalen der De-Industrialisierung türmte. Erste Zweifel, ob wir richtig seien, bzw. ob dem Gastgeber eine Vorstellung davon habe, wo er seine Gäste hinbestellt hat. Dann plötzlich aus der Finsternis der bedrohlich-tristen Umgebung verlockend heimelig und gleichzeitig eine alarmierte Unruhe auslösend, als leuchtender Fixpunkt aufscheinend, unser Ziel. Die Gefahr witternde Spannung des Unterbewusstseins war schnell zu erklären: Das Restaurant selber eine jener vielzähligen „Gastronomiebauten“ Moskaus, die äußerlich knapp das Niveau einer Baracke überwinden, unter Umgehung fast des gesamten anzuwendenden Regelwerks definitiv nur durch Aufwendung allerlei „Gebühren“ bei den unterschiedlichsten Organen errichtet werden konnten, im Innern aber oft gastlich eingerichtet sind, dabei aber von deutlich unangenehmer Klientel überwiegend proloider Provenienz frequentiert werden.
Ein entsprechendes Kontingent in seiner kaukasischen Spielart tummelte sich zahlreich vor der Gasstätte, seine Vorstellungen von Stil, Charme und Virilität darbietend: Weiße oder cremefarbene Anzüge, kombiniert mit schwarzem, eng anliegendem Leibchen und massiver Goldkette dominierten; das Haar entweder stoppelkurz oder halblang, stark gegelt; der Oberarm meist so geschwollen wie die geführten Reden. Dazwischen vereinzelt schmächtige Knaben, die in ihrer geföhnt-haargesprayten Spackigkeit Assoziationen mit Dienstleistern einer sexuelle Orientierung weckten, deren bloße Erwähnung in dieser Runde bestenfalls sofortige Häutung, schlimmstenfalls Blutrache bis in die dritte Generation ausgelöst hätte. Vom Gang her zu schließen schienen ausnahmslos alle Anwesenden Reiszwecken unter den Achseln und rübengroße Testikeln in den dazu passend eher pluderhosig geschnittenen Beinkleidern zu haben. (Schon die Niederschrift der reinen Beschreibung dieses Publikums lässt einen unwillkürlich innehalten und eine skrupulöse Selbstprüfung auf unbewussten Rassismus einleiten. Doch nein! Die waren wirklich alle so unappetitlich.) Kurz, nach sehr unerfreulichem Fußweg standen Svetik und ich vor einem noch viel unerfreulicheren Gastronomiebetrieb mit seiner noch viel, viel unerfreulicheren Klientel und fragten uns, ob wir da was falsch verstanden hatten, oder hier ein übler Scherz seinem komikfreien Klimax zustrebte. Freiwillig wären wir da nie und nimmer reingegangen. In dem Moment tauchten zwei Bekannte auf, deren Gesichter beim Anblick der Szenerie der gleichen Zweifel Pein widerspiegelten, und wir beschlossen, gemeinsam unser Glück zu versuchen.
Das Innere weckte gemischte Gefühle: während das Publikum weitestgehend hielt, was die Vorplatzbesetzung androhte (sich dabei allerdings meist als überaus höflich erwies), war die Einrichtung zwar etwas sehr rustikal-folkloristisch doch durchaus gemütlich. Hinter einer grandios gedeckten Tafel in einer etwas ruhigeren Ecke saß das Geburtstagkind mit den schon eingetroffenen Gästen, von denen fast alle versicherten, aus eigenem Antrieb unter keinen Umständen jemals diesen Laden betreten zu haben. Zhora entschuldigte sich für die zweifelhafte personelle Umgebung mit dem Hinweis, es handle sich hier um ein azerbajdzhanisches Restaurant, man könne also vom Publikum nicht viel erwarten (alle Kaukasier haben sich nämlich untereinander mächtig lieb), das Essen sei aber sensationell. Und hier muss ich ihm recht geben! Nicht nur das. Neben einer großartigen Küche erlebte ich in diesem Laden den besten Service während meiner gesamten Zeit in Moskau, alle möglichen, mit Geschäftspartnern angesteuerte Edelkrippen eingeschlossen. Hier war definitiv Abbitte wegen unserer anfänglichen Befürchtungen zu leisten.
So stilvoll der Service bei Tisch war und so sehr die gereichten Speisen zu begeistern wussten, so schwühl-schweißig war das Geschehen auf der Tanzfläche, wo im Halbdunkel zu wummerndem russischen Kaufhauspop das Verlangen nach Körperkontakt mit kaukasischen Moralvorstellungen im Widerstreit lag und sich beim männlichen Teil des Publikums in grotesk-eitel-machoeskem Übersprungsgebaren Bahn brach.
Daa!!! Plötzlich! Grell im schummrigen Ambiente aufleuchtend wie ein Blitz in dunklem Tann, zwei Brüste! Riesige, pralle Brüste, durch ein grobmaschiges, weißes Häkeltop ohne etwas drunter, von den Nippeln neckisch durchspießt, weniger verhüllt als provozierend dargeboten. Nach einer Weile gefolgt von einer zierlichen Gestalt in weißem Minirock und Schaftstiefeln. Darüber ein an sich sehr hübsches Gesicht, das gegen die Vulgarität der eigenen Aufmachung keine Chance hatte und so hilflos wie tragisch in einem erschütternd ordinären Make-up unter peroxidierter Mähne versank. Daneben eine fast identisch aussehende Gestalt, die jedoch durch beschränktere körperlichen Voraussetzungen bei reichlicher vorhandenem Schamgefühl daran gehindert war, das Tal der modischen billig-Luderhaftigkeit gemeinsam mit ihrer Begleiterin in voller Tiefe zu durchmessen. Allerdings waren die Unterschiede, von der Oberweite abgesehen, nur graduell.
Die Wirkung dieser Erscheinungen auf das männliche Umfeld war, je nach Sichtweise, erschütternd oder amüsant, in jedem Fall zumindest elektrisierend und ist am besten mit der Übersetzung eines russischen Terminus beschrieben: kollektive Spermatoxikose. Schwer zu entscheiden ob lachen oder weinen, wenn um die dreißig Männer jeden Alters beim Anblick solcher lebenden Gummipuppen synkron schlagartig hüftsteif werden und alles Vegetative zwischen ihren Ohren zeitgleich zunächst implodiert, dann verdampft, um anschließend aus den Mundwinkeln zu tropfen. Wie in einem osmotischen Prozess schienen innerhalb weniger Sekunden sämtliche TänzER aus der Menge der Tanzenden herausgesogen und um das Luder-Duo konzentriert worden zu sein, in seinen Blicken auf die beiden Damen, seinen tropfenden Lefzen und seinem gleichzeitigen Demonstrieren der eigenen Herrlichkeit einer Kreuzung aus hungrigen Panthern und balzenden Auerhähnen nicht unähnlich – dabei aber, ich erwähnte es schon, sehr hüftsteif.
Andererseits: Ehre wem Ehre gebührt – es kam bei alledem zu keinen Angrapschereien, korrektes Verhalten wurde wenn auch mühsam so doch erfolgreich aufrechterhalten. Und es wurde stets ein Mindestabstand bewahrt, der natürlich deutlich und unkaschiert von den durch die schwitzenden Männerleiber zu Myriaden ausgestoßenen Hormone überwunden wurde, die danach gierig jeden Zentimeter des lustverheißenden Fleisches befingerten. Davon legten die Blicke der sich Produzierenden ein beredtes Zeugnis ab. Alles in allem ein unvergessliches Schauspiel!
Irgendwann verließen Brüste und dazugehörige Damen das Lokal, viel südliches Temperament im Hormonstau und mich ob des Gesehenen erschüttert zurücklassend. Die Situation beruhigte sich allmählich, und für uns versank der Abend, wie bei solchen Anlässen üblich, in Frohsinn und größeren Mengen einer bestimmten klaren Flüssigkeit.
Bei meinem letzten längeren Moskauaufenthalt fanden Land und Leute eine schöne Abschiedszeremonie: Als mein Taxi sich – bereits reichlich spät – dem Flughafen näherte, sahen wir schon von weitem, dass sich als erstes Resultat der laufenden, aufwendig geplanten Modernisierungsarbeiten des Aeroportes vor der Flughafeneinfahrt ein zwei Kilometer langer Stau gebildet hatte, der sich in etwa so schnell vorwärts bewegte, wie in der Beitrittszone Naziverbrechen aufgeklärt werden – eher führen die im Iran gemischte FKK-Strände ein. Wieder einmal Chernyshevskij: „Was tun?“.
Ich doch etwas hektisch und unfroh werdend, der Taxist dagegen ganz entspannt: „Kein Problem!“ Während er rückwärts (!) auf die Standspur der Autobahn auswich und mit eingeschaltetem Warnblinker bis zur vor längerem passierten Ausfahrt quasi zurücksetzte, erklärte er dem fassungslosen Deutschen: „In der Russischen Straßenverkehrsordnung gibt es eine Gesetzeslücke, deren faktische Konsequenz ist, dass man auf dem Seitenstreifen der Autobahn unter Warnblinken die nächsten Ausfahrt rückwärts gegen allgemeine Fahrtrichtung ansteuern kann – und jeder Bulle muss zähneknirschend zusehen“. Russland wäre nicht Russland, wenn das nicht begeistert ausgenutzt würde. In diesem Falle hieß das: Warnblinker an, achterwärts einen Kilometer bis zur letzten Ausfahrt, auf die Gegenfahrbahn gewechselt und dort die gesamten drei Kilometer bis zum Fahrziel mit ungefähr 50 in oben beschriebener Manier zurückgelegt. Ich war pünktlich zum Einchecken da. Das ist Russland: kunstvoll ein Problem schaffen (zwei Jahre Planung zum störungsfreien Flughafenumbau sinnlos verplempern – es läuft seit Baubeginn nix mehr), das dann noch viel kunstvoller gelöst wird. Ein herrliches Land! Man muss nur ein Gespür für die Brillanz der Situation entwickeln.
Damit ist das Moskaureporten bis auf weiteres beendet. Weiter mit den letzten Kasachstanerlebnissen:
Man mag es kaum glauben, aber in Almaty gab es einen Indie-/Punk-/Metal-Club. Nannte sich „Sportclub“ und war im ehemaligen Vereinsheim eines runtergekommenen Stadions und dem dazugehörigen Vorgarten untergebracht. Die Preise waren niedrig und der DJ gab ordentlich Krach und Geschraddel. Bier und Vodka waren für ein Taschengeld zu haben. Ein kasachischer Punk, den ich einmal in einer anderen Spelunke traf (ja, so was gibt’s, ich habe ein paar gesehen) beschrieb den Laden passend mit: „Da, wo die lokalen Freaks billigen Vodka saufen und sich dabei fiesen Krach anhören“. Genau das – ein prima Ort!
Üblicherweise war ich da mit der Hilfsbuchhalterin unserer Tochterfirma, eine schnuckelige, etwas dralle Rothaarige mit Sommersprossen, voll ätzendem Sarkasmus und spätpubertärer Männerverachtung, die ich dort abfüllte und dann anstiftete, mit eben jenen verachteten Jungs zu tanzen (was sie begeistert tat, aber am nächsten Tag vehement bestritt), während ich mich am Publikum und seinem Gebaren erfreute. Dieses Publikum war in der Tat überaus possierlich: Zum größten Teil Kinder (etwa 16-20 Jahre alt), beiderlei Geschlechts, durch die Gewandung vornehmlich als Freunde des HC oder Heavy Metal zu erkennen. Ein paar hippieske Gestalten und rare proloide Erscheinungen neben einer kleinen „Punker“-Fraktion rundeten das Bild ab. Alle waren zwar freundlich, dabei jedoch angestrengt um betonte Lässigkeit bemüht. Besonders die Mädchen ganz in Schwarz mit tüchtig Piercings und einem ordentlichen Durst auf Alkoholisches faszinierten: es waren fast alles Kasachinnen, d.h. ein Schwarm überwiegend zierlicher Asiatinnen mit Puppengesichtern ganz in schwarzer Skater-Kluft, mit viel Metal in Ohren und Gesicht, ständig eine Flasche in der Hand und einem Vokabular, das beeindruckte; Dialog zweier solcher Indie-Elfen beim gemeinsamen Betreten der Toilettenkabine des gemischtgeschlechtlichen Abortes: „Los Du Schlampe, schnell rein da und die Hose runter!“ „Ach nee, Scheiße, nich schon wieder Ficken!“ „Schnauze, verfickt noch mal, ich will Dich!“
Kasachstan ist, wie schon erwähnt, ein moslemisches Land …
Während also die Damen durch einen schönen Kontrast zwischen Wort und Bild zu verblüffen wussten, waren die Herren gezwungen, für ein ähnliches Resultat bedauerlichere Mittel anzuwenden: Eines abends setzte sich ein Schrank von einem Typen mit seiner stark blondierten und trotz niedriger Temperaturen nur spärlichst bekleideten Freundin (mit sagenhafter Figur – besonders im vorderen Zwischenschulterbereich) zu uns. Entgegen der durch ihr Äußeres geweckten Erwartungen erwies sie sich als recht gescheit, charmant und kurzweilig. Der Knabe dagegen brachte nach kurzer Schonzeit erschütterndes zu Gehör: Die ganze Palette rassistisch-faschistischen Hirntods wurde vor uns ausgebreitet, gekrönt von der wichtigen, mit einfältig-stolzem Gesichtsausdruck vorgetragenen Information, ein „Nemec“, d.h. Deutscher zu sein. Au Backe!!! Dann rief er seinen „besten Freund, obwohl Jude“ und stellte diesen vor – und der war auch nicht heller. Noch skuriler wurde das alles dadurch, dass der „Deutsche“ ein Gesicht hatte, wie während der kürzesten tausend Jahren germanischer Geschichte immer „die Juden“ dargestellt wurden, derweil „der Jude“ mit fast zwei Metern Wuchs, langer blonder Mähne und entsprechender Physiognomie da weitaus dichter an wagnerhaftes Herumgesiegfriede heranreichte. Vulgärrassentypologischer Ball Paradox. Auf vorsichtige Einwände meinerseits gegen die Wirrungen seiner Denksimulationsversuche folgte blitzkrieggleich der totale Endsieg des Dunkels zwischen den Ohren meines Gegenübers: Ich habe doch keine Ahnung, da ich schließlich nur in Deutschland aber weder in Russland noch in Kasachstan lange gelebt habe, mithin kein echter Deutscher (sic!) sei. Das Argument, dass es den Deutschen eben eigen ist, in Deutschland zu leben (daher die Bezeichnung „Deutsche“, bzw. „Deutschland“), vermochte nicht durchzudringen und prallte wirkungslos am Panzer seines vegetativen stand-by ab. Es ist immer wieder atemberaubend, welch geistige Havarien auf dem Gebiet der ehemaligen SU anzutreffen sind…
Am letzten Abend vor meiner Abreise gab es dann auf der Taxifahrt vom Büro in die Unterkunft noch ein putziges Beispiel, wohin schlechte Bezahlung und Korruption von Verkehrspolizisten führen können: Der Fahrer erzählte mir erbost, er sei von einem „GAIshnik“ (so heißen da im Volksmund die Verkehrsbullen) angehalten worden, angeblich wegen Überfahren eines Rotlichts. Er sei vor die Wahl gestellt worden: entweder 10000 Tenge (damals ca. 70 €) Strafe, oder aber, er lasse seine Beifahrerin als Pfand da, fahre zum nächsten Kiosk und kaufe auf eigene Kosten neue Batterien für den elektrisch illuminierten Verkehrsregelstab des Wegelagerers. Dann wolle man ein Auge zudrücken…. Selbst für Kasachstan ein erstaunliches Ansinnen.
Wien:
Bis ich eine vernünftige Wohnung gefunden und Svetik nachgeholt hatte, wohnte ich die ersten vier Monate in einem WG-Zimmer in einer ziemlich fiesen Gegend: So wie Kreuzberg 36, nur ohne Szene, Clubs und mit sehr wenig anständigen Kneipen; das heißt: Altbau, die Häuser reichlich runtergekommen, viel fertiges Volk, massig einfach strukturiertes aber mächtig ehrpusseliges anatolisches und balkanisches Männertum und obendrein an fast jeder Ecke mehrere schmierige Billigpuffs; dazu hauptsächlich solche „Lokale“, wie seinerzeit die „Molle“ in 61 – wer die noch kennt, weiß was für ein Grauen dort herrschte. Hatte zwar auch seinen Charme, wäre aber der Gattin schwer schmackhaft zu machen gewesen – zudem hätte ich ernsthafte Probleme gehabt, meinem heranwachsenden Töchterchen zu erklären, was denn hinter all den Türen mit der roten Beleuchtung so vor sich geht.
Die Stadt empfing mich nicht herzlich: Beim Einzug war in unserer Wohnung der Boiler kaputt, d.h. kein heißes Wasser und keine Heizung – und das bei 6° Außentemperatur und Dauerregen. Dazu ist am dritten Tag noch der Spiegel im Bad von der Wand gefallen und hat das Waschbecken gespalten, so dass ich morgens in einer eiskalten, reichlich renovierungsbedürftigen Hinterhofwohnung in einem eher gemeinen Stadtteil halbrasiert in einer sich langsam aber unaufhaltsam ausbreitenden Pfütze im Bad stand und dachte, dass Moskau soooo schlecht eigentlich gar war…
Inzwischen haben wir eine wunderschöne Wohnung, neu sanierter Altbau, recht günstig, ideal gelegen; doch das sind eher langweilige Details, Nörgeln ist bekanntlich viel unterhaltsamer.
Wegen der Nachfragen zum Thema „Ösi-Sprech“: Ja er ist gewöhnungsbedürftig, in jeder seiner vielzähligen Sielarten. Besonders „die Wienerin“ ist schwer erträglich, da sie in Intonation und Aussprache eigentlich immer beleidigt und leidend kling. Das österreichische „Hochdeutsch“ ist aber trotz Possierlichkeiten wie „händisch“ (per Hand), „Pensionist“ (Rentner), „Consulent“ (Consultant), „da“ (immer: hier), „Mistkübel“ (Papierkorb/Mülleimer) im allgemeinen gut verständlich. Gar nicht geht es aber bei Lebensmitteln und Speisen: in den ersten Wochen wurde jeder Restaurantbesuch zu einer Demütigung, bei der ich mir als Deutsch-Muttersprachler von allerlei Balkanesen, die des Deutschen generell nur rudimentär mächtig waren, unter mitleidigen Blicken die „deutsche“ Speisekarte erklären lassen musste. Österreichische Kellner verfeinerten die Situation noch mit der Dreingabe eines falschen, scheinheiligen Lächelns, in dessen Winkeln Arroganz und Schadenfreude miteinander rangen.
Einzig und allein heftiges Berlinern half, um sich schlagartig Sympathie und Unterstützung zu sichern. „Der Wiener“ fühlt sich „dem Berliner“ seelenverwandt, was nicht ganz falsch ist: Nörgeln, Schwarzmalerei, Pampigkeit und Sarkasmus sind auch hier verbreitet, nur anders schattiert. Während der Berliner eher die robust-schnoddrige-humorige Spielart darstellt, ist der Wiener eher quengelnd selbstmitleidig-suizidal veranlagt. Dabei aber zuweilen grenzgenial boshaft: Nach der Aufdeckung des Kellerfalls in Anstetten meinte eine Kollegin: „Nach diesem Vorfall gewinnt die Phrase ,Der geht zum Lachen in den Keller.’ eine ganz neue Bedeutung!“ Und das hätte nun auch wieder ein Berliner sagen können. Keine schlechte Basis für die Zukunft.